Zitat des Tages
Liebe Jury, liebe Gäste
Ich freue mich über die Auszeichnung! Sie gibt mir Kraft,
weiter zu berichten – über den Krieg in Europa, über zwei Länder,
die sich gerade tiefgreifend verändern.
Ich freue mich. Aber gleichzeitig blicke ich mit Sorge in die Zukunft.
Die meisten Journalisten in dem Land, in dem ich lebe, begreifen sich
mittlerweile als Informationskrieger. Sie reden ganz offen über Ihre
Mission. Und sie sehen auch mich als Informationskriegerin an. Sie
drängen mich geradezu in die Rolle der Kriegerin hinein.
Ich will aber Journalistin sein! Nicht Kriegerin! Eine Journalistin, die die
Vorgänge in der Welt nach einem Maßstab misst. Dem universellen Maßstab
des Rechtsstaats, der Menschenwürde, des Völkerrechts.
Bleib gelassen, sage ich mir, greife nicht an, spiel dieses Spiel nicht mit.
Widerlege einfach Stück für Stück die tausend erfundenen Geschichten,
Verdrehungen, Verschleierungen, die die Info-Krieger jeden Tag produzieren.
Aber ich komme nicht nach mit dem Widerlegen.
Ich werde überrollt von der Spin-Lawine, von der Inszenierungsmaschinerie
des Kreml. Sie hat so eine fantastische Ausstrahlungskraft, dass mittlerweile
alle meine deutschen Freunde gar nicht mehr wissen, worum es in der Ukraine
und in Russland geht. Nur noch müde Zweifel sind übrig geblieben.
„Nichts ist wahr, alles ist möglich.“
Während der Zuschauer Vertrauen in mich verliert, verliere ich Vertrauen
in die Heimatredaktionen, in langjährige Kollegen, in journalistische und
intellektuelle Vorbilder. Ich erlebe, wie die Angst in das Programm hineinspielt,
Ich höre jeden Tag von den Kollegen in Deutschland, dass sie bestimmte
Wortmeldungen und Formulierungen vermeiden, „wegen der Beschwerden“.
Ich bekomme auch Anfeindungen (aus Deutschland) und Programm-
Beschwerden, wenn ich über die russische Opposition berichte.
Über die russische Opposition!
Ich werde oft gefragt, ob ich Angst habe, wenn ich in der Ostukraine
unterwegs bin.
Ja, die habe ich.
Aber eine noch größere Angst habe ich, wenn ich sehe, wie die Angst,
die Zweifel , die Beschwerden, die Anfeindungen uns verändern
und wie die Kollegen nicht wahrnehmen, dass jemand mir ihren Ängsten
spielt.
Mein dringlicher Wunsch heute Abend an Sie:
Haben Sie keine Angst. Diejenigen, die mit Ihren Ängsten spielen,
sagen Ihnen, „Du willst Propaganda bloßlegen?“ Du bist doch selbst
ein Propagandist, ein Infokrieger“.
Ich sagen Ihnen, wenn Sie jenen nachgehen, die die Wirklichkeit inszenieren
und manipulieren sind Sie Journalist. Und nicht Infokrieger.
Legen Sie die Mittel der Infokrieger bloß. Zeigen Sie der Welt, wer
Informationskriege angefangen und wer sie perfektioniert hat.
Und vergessen und verdrängen Sie bitte nicht:
Wir stehen vor der alles entscheidenden Frage, wie wir leben wollen
in Europa.
Ich danke Ihnen.
Golineh Atai